Was ist Long-COVID und wieviele Personen sind davon betroffen?
Daniela Roesch-Ely (DR): Die Guidelines des National Institute for Health and Care Excellence in Großbritannien (NICE)1 definieren das Post-Covid-19-Syndrom als eine Gruppe von Symptomen, welche während oder nach einer Infektion mit COVID-19 auftreten. Sie persistieren für mehr als 12 Wochen und sind nicht durch eine alternative Diagnose erklärbar. Die Gruppe von Symptomen kann fluktuieren und verschiedener Art sein. Zusätzlich zu den klinischen Definitionen wird die Terminologie ‘Long COVID’ häufig verwendet, wenn die Gruppe von Symptomen über die Akutphase hinaus weiterhin bestehen bleibt: Dies beinhaltet die Phase mit kontinuierlichen COVID-19 Symptomen (von 4 bis 12 Wochen) und die Post‑COVID‑19-Phase (mehr als 12 Wochen). Die Symptome können körperlicher, kognitiver und psychischer Natur sein.
Ein vor kurzem publizierter Übersichtsartikel2 zeigt eine geschätzte Prävalenz von Long-COVID zwischen 7,5% bis 41% (bei nicht hospitalisierten Erwachsenen). Die Zahlen sind jedoch noch heterogen und vorläufig. Prospektive Studien mit repräsentativen Stichproben sind weiterhin notwendig.
Gibt es bestimmte Risikofaktoren für Long-Covid?
DR: Die vorläufige Evidenz zeigt, dass weibliches Geschlecht, höheres Alter, Komorbiditäten (psychisch und somatisch), der Schwergrad der akuten Erkrankung (wird kontrovers diskutiert) und Adipositas mit Long-COVID assoziiert sind.
Weiß man schon etwas zu möglichen Schutzfaktoren, die Long-COVID vorbeugen oder zumindest mildern?
DR: Daten zu möglichen Schutzfaktoren gibt es kaum. Diskutiert wird eine gute physische Aktivität, welche das Risiko von Long-COVID reduzieren kann. Es fehlt generell noch an Evidenz bezüglich der protektiven Faktoren, der Effektivität von Behandlungsansätzen sowie der Präventionsmaßnahmen inkl. der Wirkung der Impfung auf die Entstehung des Long-COVID-Syndroms.
Was sind die häufigsten psychischen Beschwerden von Personen mit Long-COVID? Gibt es bestimmte Kernsymptome?
DR: Die Personen berichten über Erschöpfung (sog. Fatigue; siehe Box 1), reduzierte Lebensqualität und Alltagsbelastbarkeit, Schlafstörungen sowie diverse kognitive Störungen wie Wortfindungs-, Konzentrations- und/oder Gedächtnisstörungen. Zudem kommen noch affektive Symptome wie erhöhte Ängstlichkeit, Hilfslosigkeit und/oder gedrückte Stimmung.
Welche diagnostischen Methoden und Tests verwenden Sie?
DR: Wir führen eine ausführliche Krankheits- und psychiatrische Anamnese mittels strukturierter Interviews sowie eine neuropsychologische Testung durch. Dies beinhaltet die subjektive und objektive Erfassung der Kognition (u.a. Verarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen) mittels standardisierter Tests im Papier-Bleistift- sowie im computergestützten Format (z. B. mit COGBAT). Des Weiteren kommen neben eines Screeningverfahrens zur Feststellung einer Demenz auch standardisierte Fragebögen zur Lebensqualität, Fatigue, Leistungsfähigkeit und Depression zum Einsatz. Bei Bedarf werden die Personen zur weiteren hirnorganischen Abklärung mittels MRT und EEG überwiesen. Dies erfolgt in einem multiprofessionellen Team.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
DR: Es ist wichtig, die Person über die Long-COVID Symptome und den möglichen Verlauf psychoedukativ zu informieren und das Syndrom ernst zu nehmen. Vermittlung von Akzeptanz zu den Symptomen und Aufklärung über deren fluktuierende Natur ist ebenso bedeutend. Bei diagnostizierten psychiatrischen Erkrankungen empfehlen wir leitliniengerecht eine psychiatrisch-psychotherapeutische Anbindung. Darüber hinaus empfehlen wir die gezielte Behandlung der Schlafstörung, kognitives Training sowie weitere Behandlungsmöglichkeiten wie Physiotherapie, Rehabilitation und Anbindung an eine Selbsthilfegruppe. Außerdem empfehlen wir das Beibehalten eines gesunden Lebensstils mit gesunder Ernährung und angemessener körperlicher Aktivität. Wichtig hierbei ist es, sich nicht zu übernehmen, und sich weder zu über- noch zu unterfordern.
Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen an der Ambulanz betreffend den Verlauf und der Prognose von Long-COVID?
DR: Wir sind dabei, die Personen nach dem ersten Kontakt zu einem Folgetermin einzuladen. Daten zu Verlauf und Prognose sind nicht vorhanden. Wichtig aus unserer Sicht ist es, die Personen in einem multiprofessionellen Behandlungsnetzwerk einzubinden, welches erlaubt, die Symptome frühzeitig zu erkennen und symptomorientiert zu behandeln. In unserer Region gibt es das Long-Covid Netzwerk (http://www.longcovidnetz.de/), über welches die Betroffenen und Therapierenden Information erhalten können.