Warum sind es eigentlich die Big 5 und nicht die Fantastischen 4?

Das Big Five Modell der Persönlichkeit ist mittlerweile fast jedem bekannt und wird in vielen Bereichen erfolgreich verwendet. Aber haben Sie sich auch schon mal gefragt, wie man eigentlich auf fünf Faktoren gekommen ist? Die Antwort hat, so wie alles in der Wissenschaft, ein paar Anläufe gebraucht.

Es ist ein später Nachmittag in einem mit Flipcharts vollgestellten Besprechungsraum. Seit vier Stunden schon läuft ein Workshop, in dem sechs Führungskräfte eines Großkonzerns mit zwei Psychologinnen neue Stellenprofile erarbeiten sollen. Bislang wurden ideale Verhaltensweisen und dazu notwendige Fähigkeiten und Eigenschaften gesammelt, ganz nach der bekannten Methode der Critical Incidents. Als letzten Schritt ordnen die Psychologinnen die gesammelten und eher salopp formulierten Eigenschaften in das Big Five Modell ein. Organisiert sein kommt zu GewissenhaftigkeitKreativ sein zu Offenheit für neue Erfahrungen. Das Big 5 Modell ist jedem bekannt.

Plötzlich lehnt sich eine Führungskraft in ihrem Stuhl zurück und verschränkt die Arme: „Sie können das ja jetzt zuordnen wie Sie sie wollen. Warum gehört Kreativ sein nicht zu Extraversion?“

Die Antwort liegt in diesem Beispiel auf der Hand. Die Kreativität einer Person hängt typischerweise nicht damit zusammen, wie gerne sie mit anderen Menschen zusammen ist, sondern von ihrer Bereitschaft für neue Eindrücke. Doch die Frage an sich ist durchaus berechtigt. Warum lassen sich diese vielen Facetten unserer Persönlichkeit überhaupt objektiv in genau diese fünf Faktoren einteilen und warum sind es genau fünf?


Das Big Five Modell wird manchmal auch als Fünf-Faktoren-, OCEAN– oder CANOE-Modell bezeichnet.

Persönlichkeitsmodelle gibt es schon sehr viel länger als die moderne Psychologie

Schon in der Antike hat man versucht, Menschen anhand ihrer Persönlichkeit zu klassifizieren und den Grund für unterschiedliche Persönlichkeitstypen zu ergründen. Das wohl berühmteste Beispiel aus dieser Zeit ist Galenos’ Theorie der Körpersäfte, die alle Menschen anhand ihrer dominanten Körpersäfte in Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker oder Phlegmatiker einteilt.

Erst Anfang um 1900 begann sich die Persönlichkeitsforschung langsam zu dem zu entwickeln, was wir heute kennen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Psychologie eben erst als eigenständige wissenschaftliche Disziplin behauptet und stürzte sich auf die Frage, woher Persönlichkeit denn nun eigentlich kommt.

Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überschlugen sich die Modelle dazu förmlich. Von psychodynamischen Modellen, die sich auf innere Prozesse fokussierten, über behavioristische Modelle, die Persönlichkeit als etwas vollständig Erlerntes annahmen, gab es eine Vielzahl von Erklärungsansätzen. Keines davon hielt wissenschaftlichen Überprüfungen stand – bis auf eines.

Das Eigenschaftsmodell ist die Wiege der Big Five

Zur selben Zeit, aber vollkommen unabhängig von den bereits genannten Modellen, entwickelte sich das Eigenschaftsmodell. Demnach besteht jeder Mensch aus denselben universalen Grundbausteinen, also Persönlichkeitseigenschaften, unterscheidet sich jedoch von seinen Mitmenschen darin, wie genau diese Grundbausteine bei ihm ausgeprägt sind. Die individuellen Unterschiede äußern sich darin, wie sich ein Mensch in einer Situation, beispielsweise vor einer wichtigen Prüfung oder auf einer Party, verhält.

Von dort weg dauerte es nicht lange, bis erste Versuche unternommen wurden, diese universalen Persönlichkeitseigenschaften zu identifizieren. Ausgangspunkt war der so genannte lexikalische Ansatz. Diesem liegt ein relativ simpler Gedanke zugrunde: Nämlich, dass sich bedeutsame Persönlichkeitseigenschaften über die Zeit in unserer Sprache wiederspiegeln. Bedeutsam sind dabei vor allem jene Eigenschaften, die Individuen voneinander unterscheiden. Denn genau diese werden gebraucht, um eine Person zu beschreiben.

Es liegt daher nahe, dass sich alle universalen Persönlichkeitseigenschaften in den Adjektiven unserer Sprache wiederfinden. Ziel war nun, herauszufinden, wie viele universale Persönlichkeitseigenschaften unserem gesamten Wörterbuch zugrundeliegen.


Aus 18.000 Adjektiven werden fünf Faktoren

Einer der ersten Versuche stammt aus den 1940ern von Raymond Cattell, der eine Adjektivliste des englischsprachigen Webster Lexikons nutzte, um die 18.000 Einträge auf eine überschaubere Menge an unabhängigen Persönlichkeitseifenschaften zu reduzieren. Dabei kam er auf 16 Faktoren, die aus Gegensatzpaaren wie vertrauend vs. misstrauisch bestanden. In etwa zur selben Zeit leitete Hans Eysenck aus derselben Adjektivliste zuerst die beiden Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus und Extraversion ab und erweiterte das Modell in den 1970ern mit seiner Frau um Psychotizismus.

Wie unschwer zu erkennen ist, unterscheidet sich die Anzahl der gefundenen Faktoren voneinander, wobei erste Forschungsergebnisse eher Eysencks Theorie stützten. Weitere empirische Studien sollten Klarheit schaffen.

Beginnend in den 1980ern fasste man die Fülle an Adjektiven in etwa 200 Synonym-Cluster zusammen und organsierte sie anschließend, ähnlich zu Cattell, in Gegensatzpaare, anhand derer Testpersonen entweder sich selbst oder ihre Bekannten einschätzen sollten. Die Ergebnisse wurden mit einer Faktorenanalyse analysiert.

Dieses Vorgehen wurde etwa zeitgleich von mehreren unabhängigen Forscherteams genutzt, und führte überall zum selben Ergebnis: Alle Eischätzungen anhand dieser Adjektive gehen auf fünf grundlegende und voneinander unabhängige Persönlichkeitseigenschaften zurück.

Gut zu wissen:
Die Faktorenanalyse ist eine statistische Methode zur Reduktion von Komplexität in Daten. Angenommen, 500 Testpersonen werden insgesamt 100 Gegensatzpaare vorgelegt, anhand derer sich Testpersonen einschätzen sollen. Das ergibt insgesamt 2000 einzelne Antworten, wobei etliche dieser Antworten zusammenhängen. Beispielsweise haben sich viele Personen, die sich als verantwortungsbewusst eingestuft haben, tendenziell auch als diszipliniert beschrieben, während es bei gesellig keine solchen Tendenzen gab. Irgendeine grundlegendere Eigenschaft hat also Einfluss auf die Ausprägung von Verantwortungsbewusstsein und Disziplin, jedoch nicht auf die Ausprägung von Geselligkeit.

Ziel der Faktorenanalyse ist, die gewonnenen Daten so weit zu reduzieren, dass nur mehr diese grundlegenden Eigenschaften, so genannte Faktoren, übrigbleiben.

Big Five: Ein Modell mit Zukunft

Mit dem Trait-Modell war das Rennen um das beste Persönlichkeitsmodell Mitte des 20. Jahrhunderts vorbei, mit der Entdeckung der Big Five hatte sich auch der Staub gelegt. Seitdem ist viel passiert.

Das Big Five Modell wurde in faktisch allen Kulturen unserer Welt bestätigt und hat sich mit Leichtigkeit zu dem Modell der Persönlichkeit ertabliert, auf dem die allermeisten wissenschaftlichen Persönlichkeitsfragebögen, beispielsweise das Big-Five Struktur Inventar (BFSI) oder das Big Five Inventar zur Persönlichkeit in beruflichen Situationen (B5PS), basieren. Mittlerweile findet das Modell auch regen Einsatz in vielen praktischen Anwendungsgebieten, beispielsweise in der Personalpsychologie, wo die Ausprägung der Big Five Persönlichkeitsfaktoren wichtige Anhaltspunkte über individuelle Stärken und Entwicklungsbereiche gibt

In der Persönlichkeitsforschung hingegen beschäftigt man sich aktuell unter anderem damit, wie stabil die individuelle Ausprägung der Persönlichkeitsfaktoren über die Lebensspanne ist, und inwiefern sich Persönlichkeit über unser Verhalten auf sozialen Medien vorhersagen lässt. Auch an den Grundlagen des Big Five Modell selbst wird weiterhin geforscht. So finden zum Beispiel etliche nicht-englischsprachige Studien den sechsten Faktor Ehrlichkeit-Bescheidenheit, der mittlerweile auch in manchen englischsprachigen Studien repliziert wurde.

Fertig ist die Wissenschaft mit den Big Five allerdings noch lange nicht. Eines ist jedenfalls sicher: Hinter der Zuordnung von Adjektiven zu den Big Five Faktoren steckt sehr viel mehr als bloßer Zufall.

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