Welche neuropsychologischen Tests würden Sie auf eine Insel mitnehmen?

Sie und internationale Kolleginnen und Kollegen werden auf eine abgelegene Insel gebracht und sollen die nützlichsten neuropsychologischen Tests mitnehmen. Welche Tests werden wohl ausgewählt?

Stellen Sie sich vor, Sie sollen auf eine abgelegene Insel gebracht werden, auf die Sie jedoch nur eine begrenzte Anzahl an Dingen mitnehmen dürfen. Trotz des Platzmangels wird auf der Insel offensichtlich großer Wert auf eine hochqualitative Gesundheitsversorgung gelegt. Sie sollen nämlich die aus Ihrer Sicht nützlichsten neuropsychologischen Tests mitnehmen – und auch Ihre internationalen Kolleginnen und Kollegen wurden eingeladen, dasselbe zu tun. Würden Sie eher vermuten, dass alle ein ähnliches Testinventar auswählen, oder würde es starke regionale Unterschiede in der Auswahl geben?

Neuropsychologische Tests haben weltweit eine hohe Relevanz

Fest steht, dass neuropsychologische Tests weltweit häufig im Einsatz sind. Viele neurologische Erkrankungen und psychiatrische Störungen führen zu kognitiven Beeinträchtigungen, welche in unterschiedlichen Formen und Schweregraden auftreten können. Dies stellt besondere Herausforderung an eine differenzierte Diagnostik. Deshalb wurden seit den Anfängen der Neuropsychologie viele verschiedene Testparadigmen entwickelt, die dabei helfen sollen, kognitive Beeinträchtigungen objektiv zu erfassen. Auch in Zeiten von bildgebenden Verfahren wie MRT oder PET spielen neuropsychologische Tests nach wie vor eine große Rolle in der Diagnostik und sind ein essenzielles Instrument in der Praxis vieler Neuropsychologinnen und Neuropsychologen weltweit.

Welche neuropsychologischen Tests werden am häufigsten eingesetzt?

In den letzten Jahren wurden weltweit mehrere standardisierte Umfragen zur neuropsychologischen Praxis durchgeführt1-6. Darin wurden Fragen zur (neuro-)psychologischen Ausbildung, der aktuellen Arbeitssituation, den am häufigsten untersuchten Störungsbildern und angewandten Therapiemethoden gestellt. Eine zentrale Frage war aber natürlich auch, welche neuropsychologischen Tests am häufigsten eingesetzt werden. Die Befragten konnten aus einer Liste von 60 regional genutzten Tests auswählen. Daraus wurden Ranglisten je Land/Region erstellt.

Tabelle 1 fasst die landesspezifischen Ranglisten von Umfragen aus Lateinamerika1, Frankreich2, Spanien3, USA4, Südafrika5 und Italien6 zusammen und ordnet sie danach, welche Tests bzw. Testparadigmen am häufigsten in mehreren Ländern eingesetzt werden.

Tabelle 1: Zusammenfassende Rangreihung der am häufigsten genutzten neuropsychologischen Tests/Testparadigmen

* Für die Rangreihung „Gesamt“ wurde berücksichtigt 1) in wie vielen Ländern der Test/das Testparadigma in den Top 20 genannt und 2) welcher mittlere Rang über alle Länder erreicht wird.

Die Top 3 neuropsychologischen Tests weltweit: Trail Making Test, Wortlisten Lerntests und Stroop Test

Trail Making Test: Die Beliebtheit des Trail Making Tests ist einfach zu erklären: Der Test kann in kürzester Zeit durchgeführt werden, ist einfach verständlich und hat sich vor allem bei einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen als sensitiver Test zur Feststellung von kognitiven Beeinträchtigungen erwiesen. Trotz der einfachen Aufgabenstellung können nämlich verschiedene kognitive Funktionen wie Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit oder kognitive Flexibilität erfasst werden können. Ein erster Vorläufer des Trail Making Tests wurde bereits 1938 entwickelt und danach in Testbatterien der US-Armee integriert. Seitdem wurden viele verschiedene Varianten des Tests entwickelt, beispielsweise die digitale Langensteinbacher Version im Wiener Testsystem. (TMT-L).

Wortlisten Lerntests: Vor allem zur Untersuchung von Gedächtnisstörungen werden häufig Wortlisten Lerntests verwendet (wie z. B. CVLT, RAVLT oder der Auditiver Wortlisten Lerntest, AWLT, im Wiener Testsystem). Obwohl verschiedene Varianten des Testparadigmas in unterschiedlichen Sprachen existieren, geht es zentral darum, sich eine Liste von Wörtern in mehreren Lerndurchgängen einzuprägen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wiedergeben zu können. Durch die Unterteilung in mehrere Testphasen können unterschiedliche Gedächtnisfunktionen erfasst werden: unmittelbares Erinnern, Lernfähigkeit und Langzeitgedächtnisleistungen wie der freie Abruf und das Wiedererkennen von Lerninhalten nach kürzeren und/oder längeren Pausen. Zudem lässt sich das Testparadigma auch gut auf nonverbale Inhalte wie z. B. das Erinnern und Reproduzieren von abstrakten Figuren übertragen (siehe Figuraler Gedächtnistest, FGT, im Wiener Testsystem).

Stroop Test: 1935 veröffentlichte J. R. Stroop einen einflussreichen Artikel zu einem psychischen Phänomen, das wir heute unter dem Namen Stroop-Effekt kennen – die Interferenz zwischen automatischer und kontrollierter mentaler Verarbeitung. Lesen ist eine viel stärker automatisierte kognitive Tätigkeit als das Benennen von Farben. Deshalb ist die Benennung der Farbe eines visuell dargebotenen Wortes verlangsamt, wenn der Inhalt des Wortes der Farbe widerspricht (z. B. das Wort „Rot“ in der Farbe Gelb geschrieben ist). Später hat sich dann herausgestellt, dass sich dieses experimentalpsychologische Testparadigma auch zur Untersuchung von (neuro-)psychologischen Fragestellung im angewandten Bereich eignet, da die Interferenzneigung je nach kognitiver Beeinträchtigung unterschiedlich ist. Insbesondere Personen mit frontalen Dysfunktionen zeigen hier Auffälligkeiten. Heute lässt sich das Stroop-Testparadigma am einfachsten in der digitalen Form durchführen (siehe STROOP im Wiener Testsystem).

Das internationale neuropsychologische Testinventar ist relativ homogen

Im Vergleich dieser Länder fällt sofort auf, dass in jeder landesspezifischen Testliste immer wieder dieselben Tests bzw. Testparadigmen auftauchen. Dies weist darauf hin, dass die Testparadigmen an sich gut in unterschiedlichen Kulturen funktionieren. Zudem ist die relativ homogene Testauswahl insbesondere auch deshalb bemerkenswert, wenn man die Vielfalt an kognitiven Dimensionen und existierenden Testparadigmen bedenkt. Auf unserer imaginären Insel würden Sie somit sehr wahrscheinlich eine kleine, aber bewährte Auswahl an Tests und Testparadigmen vorfinden und somit bemerken, dass Neuropsychologinnen und Neuropsychologen weltweit mit einem ähnlichen Instrumentenkoffer arbeiten.

Literatur:

1Arango-Lasprilla, J. C., Stevens, L., Morlett Paredes, A., Ardila, A., & Rivera, D. (2017). Profession of neuropsychology in Latin America. Applied Neuropsychology:Adult24(4), 318–330. https://doi.org/10.1080/23279095.2016.1185423

2Lopes, A. B., Leal, G., Malvy, L., Wauquiez, G., Rivera, D., & Arango-Lasprilla, J. C. (2019). Neuropsychology in France. Applied Neuropsychology: Adulthttps://doi.org/10.1080/23279095.2019.1633329

3Olabarrieta-Landa, L., Caracuel, A., Pérez-García, M., Panyavin, I., Morlett-Paredes, A., & Arango-Lasprilla, J. C. (2016). The profession of neuropsychology in Spain: Results of a national survey. Clinical Neuropsychologist30(8), 1335–1355. https://doi.org/10.1080/13854046.2016.1183049

4Rabin, L. A., Paolillo, E., & Barr, W. B. (2016). Stability in test-usage practices of clinical neuropsychologists in the United States and Canada over a 10-year period: A follow-up survey of INS and NAN members. Archives of Clinical Neuropsychology31(3), 206–230. https://doi.org/10.1093/arclin/acw007

5Truter, S., Mazabow, M., Morlett Paredes, A., Rivera, D., & Arango-Lasprilla, J. C. (2018). Neuropsychology in South Africa. Applied Neuropsychology:Adult25(4), 344–355. https://doi.org/10.1080/23279095.2017.1301453

6Onida, A., Di Vita, A., Bianchini, F., Rivera, D., Morlett-Paredes, A., Guariglia, C., & Arango-Lasprilla, J. C. (2018). Neuropsychology as a profession in Italy. Applied Neuropsychology:Adult0(0), 1–15. https://doi.org/10.1080/23279095.2018.1466782

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