Willkommen in der Welt der Verkehrspsychologie – Finnland

In diesem Blogbeitrag nehmen wir Sie mit auf eine Reise durch die Welt der Verkehrspsychologie. Haben Sie sich manchmal gefragt, wo es verkehrspsychologische Diagnostik überhaupt gibt, und wie diese anderorts abläuft? Starten Sie heute mit uns nach Finnland.

In Finnland kam die Frage der Fahreignung schon vor Jahrzehnten auf. Im Vergleich zu anderen Ländern wurde sie jedoch vor allem von Neuropsychologinnen und Neuropsychologen in den Vordergrund gerückt. Patientinnen und Patienten sollten nach einem Schlaganfall, einer Hirnverletzung oder einer degenerativen neurologischen Erkrankung hinsichtlich der Fahreignung beurteilt werden. Diese Beurteilung der Fahreignung und des Rehabilitationsbedarfs sind wichtige Voraussetzungen für die Rückkehr in den Beruf. Heutzutage unterzieht sich beinahe jede neurologische Patientin und jeder neurologischer Patient, die bzw. der ins Berufsleben oder ins Studium zurückkehrt, einer neuropsychologischen Untersuchung. Dabei soll festgestellt werden, ob Einschränkungen vorliegen, die dazu führen, dass nicht mehr die gleichen Anforderungen erfüllt werden können, wie vor der Erkrankung. Andererseits werden einige andere hochrelevante Gruppen keiner Beurteilung unterzogen: Menschen mit Drogenmissbrauch, Herz- und Lungenkrankheiten und Diabetes zum Beispiel.

Vor diesem Hintergrund war und ist die psychologische Beurteilung des Fahrverhaltens in erster Linie eine neuropsychologische und kognitionspsychologische Fragestellung. Eine Patientn, ein Patient, der in einer neurologischen Abteilung landet, verlässt diese selten ohne eine Untersuchung zur Fahrtauglichkeit oder ein Fahrverbot aufgrund einer aktuellen neurologischen Erkrankung.

Wer ein gesundheitliches Problem hat, das die Fahreignung in Frage stellt, wendet sich in der Regel an die für sie oder ihn zuständige öffentliche Gesundheitseinrichtung. Alternativ kann man sich zwecks Begutachtung auch an eine Privatklinik wenden. Wenn eine fachärztliche Stellungnahme erforderlich ist, wird in der Regel an ein Krankenhaus verwiesen. Die meisten Neuropsychologinnen und Neuropsychologen arbeiten in öffentlichen Krankenhäusern und führen im Rahmen ihrer Tätigkeit auch Fahreignungsuntersuchungen durch. Einige Neuropsychologinnen und Neuropsychologen arbeiten auch im privaten Gesundheitssektor, sind aber in der Regel nicht auf die Beurteilung der Fahreignung spezialisiert.

Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen ist fließend, und die Stellungnahmen der (Neuro-)Psychologinnen und (Neuro-)Psychologen werden sehr geschätzt. Wenn eine Angehörige oder ein Angehöriger eines Gesundheitsberufs bezüglich der Fahreignung einer Patientin oder eines Patienten unsicher ist, werden Neuropsycholginnen und Neuropsychologen selbstverständlich konsultiert.

Infobox

In Finnland werden die meisten Gesundheitsdienste im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge erbracht, insbesondere wenn eine Behandlung auf Krankenhausniveau erforderlich ist. Öffentliche Kliniken gibt es in jeder Gemeinde, Krankenhäuser auf Kreisebene. Die Versorgung ist für die meisten Personen erschwinglich. Es gibt fünf Universitätskliniken, die jeweils als zentrales Krankenhaus in ihrer Region fungieren und für die Diagnose und Behandlung spezieller oder seltener Gesundheitsprobleme zuständig sind, die für lokale Spitäler zu spezifisch sind.

Verwendete Methoden

(Neuro)Psychologinnen und (Neuro)psychologen verwenden eine Vielzahl bewährter und standardisierter kognitionspsychologischer Tests zur Beurteilung der Fahreignung. Üblich sind Tests zu Visualisierung, visuellem Denken und Problemlösung, Aufmerksamkeit und exekutiven Funktionen. Einige Kliniken verwenden Papier-Bleistift-Versionen, andere digitale Testverfahren wie das Wiener Testsystem. Da es keine offiziellen Empfehlungen gibt, welche Tests verwendet werden sollten, kann jede Psychologin und jeder Psychologe selber entscheiden.

Ausbildung zur (Verkehrs-) Psychologin und zum (Verkehrs-)Psychologen

Die Ausbildung von Psychologinnen und Psychologen in Finnland ist von hoher Qualität. Psychologie als Hauptfach kann an sechs Universitäten studiert werden. Ein Master-Abschluss berechtigt zur Arbeit als klinische Psychologin bzw. klinischer Psychologe, da die Ausbildung immer auch Theorie in klinischer Psychologie und ein fünfmonatiges Praktikum umfasst.

Psychologinnen und Psychologen sind im Allgemeinen sehr gut ausgelastet. Eine Psychologin bzw. ein Psychologe kann auch ohne postgraduelle Abschlüsse eine erfolgreiche Karriere machen, allerdings werden jährliche Fortbildungen zu verschiedenen Themen empfohlen. Es gibt umfangreiche Spezialisierungsstudiengänge zu sechs verschiedenen Bereichen (Psychische Gesundheit, Kinder und Jugendliche, Neuropsychologie, Gesundheitspsychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie und Psychotherapie), die jeweils drei Jahre dauern und von Universitäten angeboten werden. Standardisierte Studiengänge zur Verkehrspsychologie sind selten, was zu einem gravierenden Mangel an Spezialisierungsmöglichkeiten führt. Gelegentlich werden kürzere Seminare zur Verkehrspsychologie angeboten, doch die meisten Psycholginnen und Psychologen, die sich für das Thema interessieren, lernen die Tricks und Kniffe in der Praxis von erfahreneren Kolleginnen oder Kollegen.

Es gibt eine Handvoll Psychologinnen und Psychologen, die sich als Verkehrspsychologin oder Verkehrspsychologen bezeichnen können, weil sie sich hauptberuflich mit verkehrsrelevanten Themen beschäftigen. Einige von ihnen arbeiten als Freiberuflerinnen bzw. Freiberufler an verschiedenen Projekten, andere sind in verkehrsbezogenen Firmen oder Behörden angestellt, und einige sind in der Forschung tätig. Sie arbeiten jedoch im Allgemeinen nicht mit Patientinnen bzw. Patienten oder Autofahrerinnen bzw. Autofahrern.

Seit 2004 haben alle Arztinnen und Ärzte nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, der Fahrerlaubnisbehörde zu melden, wenn eine Person aus medizinischen Gründen nicht fahrtüchtig ist. Offizielle Richtlinien empfehlen, dass die Fahreignung bei jedem Arztbesuch beurteilt werden sollte und nicht nur, wenn ein Patient dies ausdrücklich wünscht. Mit solch klaren Gesetzgebungen und Richtlinien weiß das Gesundheitspersonal immer, wie es richtig auf eine Krankheit reagieren muss, die die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen kann, auch wenn das Thema sehr komplex ist und die entsprechenden Beurteilungen in der Regel weniger umfangreich ausfallen, als es das Gesetz erlaubt.

Künftige Herausforderungen

Insgesamt ist die Beurteilung der Fahreignung von Patientinnen und Patienten in Finnland recht gut abgesichert. Es gibt jedoch auch ein anderes, bisher nicht beachtetes Klientel, die ein Risiko für den Verkehr darstellt: Verkehrssünderinnen und Verkehrssünder.

Dieses Klientel fällt bisher aus dem System, was eindeutig eine Schwachstelle in der finnischen Verkehrssicherheitsarbeit und dem Bereich der finnischen Verkehrspsychologie darstellt. Einer Verkehrssünderin bzw. einem Verkehrssünder drohen zwar juristische Konsequenzen, aber es findet weder eine psychologische Beurteilung noch eine Intervention statt.

In den letzten Jahren hat sich jedoch das Bewusstsein für die Risiken für die Fahrtauglichkeit jenseits von neurologischen Aspekten verstärkt. So wird beispielsweise den jungen Fahrerinnen und Fahrern mehr Aufmerksamkeit geschenkt, was dazu geführt hat, dass Jugendliche mit Entwicklungsstörungen wie Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndromen, intellektuellen Einschränkungen, schweren Verhaltensstörungen oder psychiatrischen Problemen häufiger als früher an Psychologinnen und Psychologen überwiesen werden.

Diese Entwicklung führt dazu, dass sich Psychologinnen und Psychologen, die in anderen Bereichen als der Neuropsychologie tätig sind, mit der Erfassung der Fahrtauglichkeit befassen. Langsam verbreiten sich das Interesse und das Wissen, und es ist davon auszugehen, dass bald zusätzliche Tests zu vergleichsweise neuen Themen wie Persönlichkeit, Reife und Fahrbereitschaft gefragt und benötigt werden.

Über die Autorin

Sari Kukkamaa ist Spezialistin für Verhaltenswissenschaften in der Verkehrsunfalluntersuchungsgruppe in der Region Oulu und Mitglied des Verkehrspsychologie-Ausschusses im finnischen Psychologenverband.

Sie ist klinische Neuropsychologin am Universitätskrankenhaus Oulu und arbeitet mit Erwachsenen mit hauptsächlich neurologischen Problemen. Seit 2004 hat sie Erfahrung in der klinischen Beurteilung der Fahrtauglichkeit.

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